Sandmücken und Leishmaniose

Die Sandmückenart Phlebotomus neglectus

 


Phlebotomus neglectus ist eine Sandmückenart, deren Erstbeschreibung lange in Vergessenheit geraten war. Tonnoir beschrieb 1921Ph. neglectus anhand von Exemplaren aus Triest (Nord-Italien), Görz (Julische Alpen) und Sarche (Südtirol). Bis Léger & Pesson 1987 die Taxonomie und die geographische Verbreitung dieser Art klärten, wurde diese Sandmückenart im Mediterranen Raum fälschlicherweise als Phlebotomus major identifiziert. Ph. major wurde aus dem Norden Indiens bereits 1910 von Annandale beschrieben und hat dort und im Nepal sein Hauptverbreitungsgebiet.

 

Geographische Verbreitung

Phlebotomus neglectus ist in Italien südlich der Alpen, im ehemaligen Jugoslawien, in Albanien, Griechenland, Bulgarien und Süd-Rumänien, in der Türkei, in Syrien, im West-Irak und in Israel verbreitet.

 

Vektorkompetenz

Phlebotomus neglectus ist nachgewiesener Vektor viszeraler Leishmaniose (Leishmania infantum) in Griechenland.

1932 zeigten Adler & Theodor in Griechenlandexperimentell, daß sich Leishmania infantum in der Sandmücke Ph. major (= Ph. neglectus) entwickelt, wenn diese Mücke an einem infizierten Hund Blut saugt.

1938 fanden Adler et al. in Griechenlandauf Kreta in Canea in Ph. neglectus (= Ph. major s.l.) Flagellaten, also vermutlich Leishmanien. Diese Sandmücke wurde seinerzeit in einem Haus gefangen, in dem ein Fall humaner viszeraler Leishmaniose bekannt war.

1988 konnten Léger et al. in Griechenlandauf Korfu Leishmania infantum aus der SandmückePhlebotomus neglectus direkt isolieren.

 

Verhalten

Phlebotomus neglectus ist:

 

  •  
  • stark anthropophil (den Menschen als 'Opfer' bevorzugend), aber auch zoophil (Säugetiere als 'Opfer' akzeptierend),

  • phototrop (wird durch Glühlampenlicht angelockt),

  • dann nachts endophil (in Räume fliegend) und

  • endophag (in Räumen Blut saugend).

 

 Adler & Theodor beschrieben 1931 Phlebotomus neglectus als endophile Sandmückenart, welche abends wenige Stunden nach Sonnenuntergang vermehrt und gezielt in bewohnte Häuser hineinfliegt. An gleicher Stelle werden Mücken dieser Art, die noch kein Blut gesaugt hatten, als äußerst phototrop (fliegt ins Licht) beschrieben. Auch in Nordost-Griechenlandhabe ich in den letzten Jahren das phototrope Verhalten besonders von Ph. neglectus- Weibchen beobachtet, die sich noch nicht mit Blut vollgesogen hatten. In Kallithea (bei Drama) konnten sogar einzelne Weibchen durch einen Taschenlampenschein bis in das 2. Stockwerk eines Gebäudes in 6,6 Metern Höhe gelockt werden (siehe meine Diss.).

 

Sonstiges

Das nachgewiesene Wirtsspektrum von Phlebotomus neglectus

 Bei Untersuchungen mit Antiseren gegen die IgG- Fraktionen von Immunglobulin im Blut, welches von Sandmücken aufgenommen wurde, konnte bei Ph. neglectus (= Ph. major s.l.) in Südost-Serbien gezeigt werden, daß das Blut vom Mensch, Schwein und der Ratte stammte. Serumproteine vom Hund wurden in Ph. neglectus (= Ph. major s.l.) nicht gefunden (!!!). Ähnliches stellte bereits Kostich 1951 in Mittel-Serbien fest. Auch dort wurde das von Ph. neglectus (= Ph. major s.l.) aufgenommene Blut mit Antiseren bestimmt, und es wurde festgestellt, daß dieses hauptsächlich vom Menschen, selten vom Rind oder Pferd, aber niemals vom Hund stammte (!!!).

 Mit Blutseren, die von Hunden aus dem Bereich um Kavala (Nordost-Griechenland- Richtung türkische Grenze) stammen, fielen 48,6% (!) der durchgeführten Formolgeltests bzgl. Leishmanien positiv aus. Im Bereich um Drama und Kavala sind besonders in den letzten Jahren mehrere Fälle humanerv iszeraler Leishmaniose bekannt geworden; genau in dieser Region liegt der Ort Kallithea, in dem 95% aller gefangenen Sandmücken Phlebotomus neglectus waren.

 

Kältetoleranz

Phlebotomus neglectus ist vermutlich die einzige Sandmückenart im Mediterranen Raum, die im Freiland bei einer Temperatur von 13°C noch aktiv ist. Diese Kältetoleranz ist es wohl, die Ph. neglectus in Griechenlanderlaubt, sich in mehr als 1'000 m. ü. NN noch reproduzieren zu können. Bei klimatisch günstiger Lage konnte Ph. neglectus auch im November noch auf Chalkidiki zahlreich gefangen werden. Eine ähnliche Beobachtung machten 1938 bereits Adler et al., als sie Ph. neglectus (= Ph. major s.l.) in Canea auf Kreta Mitte November noch sehr zahlreich fingen. Daher sei hier nur am Rande erwähnt, daß die Exemplare, die Tonnoir 1921 zur Erstbeschreibung von Phlebotomus neglectus dienten aus Triest (Nordost-Italien), Görz (Julische Alpen) und Sarche (Südtirol) stammten, jeweils wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Obwohl bisher noch nie über den Fang einer Sandmücke in Österreich berichtet wurde, so sind doch autochthone (also in Österreich entstandene) humane Fälle von Kala-azar bekannt geworden. Die einzige Sandmückenart, die für Österreich als Vektor humaner viszeraler Leishmaniose in Betracht zu ziehen wäre, ist demnach Phlebotomus neglectus.

 

Die Anpassung von Phlebotomus neglectus an das Siedlungsverhalten des Menschen

 In Nordost-Griechenland auf Chalkidiki und im Bereich um Thessaloniki ist humane viszerale Leishmaniose sehr selten. Léger et al. berichteten 1979 nur über jeweils einen Fall innerhalb von 25 Jahren. Bereits 1932 stellten Adler & Theodor fest, daß in Griechenland die infantile Leishmaniose (Kinderleishmaniose) hauptsächlich eine Krankheit auf Anhöhen sei, also daß die meisten Fälle in Höhenlagen zwischen 150 und 600 m. ü. NN auftreten. Léger et al. zeigten, daß Phlebotomus neglectus in Griechenlandin dieser Höhenlage häufig vorkommt und fingen sogar in 1'030 m. ü. NN noch einige Exemplare. Bei gelegentlichen Fängen von Sandmücken in der Mönchsrepublik Athos wurden ausschließlich Sandmücken der Arten Ph. neglectus und Ph. sergenti (Ph. similis) aus den Klosterkellern, in denen Fledermäuse vorhanden waren) gefangen. Diese Sandmücken wurden in, bzw. in unmittelbarer Nähe der Klosteranlagen (sog. Monastirien) gefangen. In den Wäldern der Mönchsrepublik Athos, abgelegen von menschlichen Behausungen, konnten keine Sandmücken gefangen werden. Die Klosteranlagen sind festungsartig angelegt und ausschließlich auf Anhöhen gebaut. Ph. neglectus hat sich offensichtlich als anthropophile (den Mensch als Blutspender bevorzugende) Sandmückenart dem Schutz- und Siedlungsverhalten der Menschen angepasst und ist daher ebenfalls an höhenexponierten Standorten anzutreffen. Der Ort Kallithea (beiDrama) in Nordost-Griechenlandentspricht diesem historischen Siedlungsverhalten des Menschen dadurch, daß der Ort in Hanglage bis auf die Spitze eines Berges gebaut ist. Mit 405 m. ü. NN liegt dieser Ort nach der Beobachtung von Adler & Theodor genau in der Höhenlage, für die in Griechenlandinfantile Leishmaniose zu erwarten wäre; und tatsächlich konnten in Kallithea bis zu 524 Ph. neglectus innerhalb einer Stunde von einer Mauer abgesammelt werden. Mehr als 95% aller in diesem Ort gefangenen Sandmücken waren Ph. neglectus. Etwa dreihundert Kilometer von Kallithea entfernt liegt in der Türkei westlich des schwarzen Meeres in einer bergigen Region auf 1'030 m. ü. NN der Ort Karabük, mit den ersten für die Türkei offiziell beobachteten Fällen viszeraler Leishmaniose beim Menschen. Im Juli 1996 wurden dort 123 Sandmücken gefangen und erwiesen sich ausschließlich als Phlebotomus major syriacus (= Ph. neglectus im Sinne von Léger & Pesson). Daldal et al. 1998, welche diese Untersuchungen in der Türkei durchführten, vermuten also hier die gleiche Sandmückenart in der Türkei, die für Griechenlandbereits als Vektor von L. infantum nachgewiesen ist.

 

Ist Phlebotomus neglectus überhaupt der Vektor der caninen Leishmaniose ...

 Im Gegensatz zur humanen viszeralen Leishmaniose ist die canine Leishmaniose (Hundeleishmaniose) relativ häufig auf Chalkidiki. Argyriadis & Litke fanden 1991 auf Basis des Formolgeltestes auf Chalkidiki 6,6% der untersuchten Hundeseren Leishmania- positiv, im Bereich um Thessaloniki 6,4%. Wie Untersuchungen der Sandmückenarten au fChalkidiki kürzlich gezeigt haben, wurde dort der nachgewiesene Vektor für humane viszerale Leishmaniose (Phlebotomus neglectus) nur in sehr geringer Zahl gefangen. Im Bereich um Thessaloniki wurde weder Ph. papatasi noch Ph. neglectus gefangen werden, woraus hier nun gefolgert wird, daß in dieser Region eine andere Sandmückenart Vektor caniner Leishmaniose sein muß (Ph. perfiliewi?).

 

... oder vielleicht doch eher der Vektor der humanen Leishmaniose ?

 Hunde müssen in Griechenlandeinen Zweck erfüllen. Sie werden beispielsweise als Wach- oder Hirtenhunde, meist weit außerhalb von Dörfern in den Pferchen und Ställen gehalten. Streunende, besitzlose Hunde werden in der Jagdsaison ab September erschossen. Im Ort Kallithea (bei Drama) wurden im Rahmen meiner Sandmückenstudien 1997 keine Hunde gesehen. Die Haltung von Hunden als Haustier ist dort völlig unüblich. Das Mitführen meines eigenen Hundes in meinem PKW wurde als überaus ungewöhnlich betrachtet. Somit ist der Hund in Kallithea als Wirt von Ph. neglectus praktisch auszuschließen, hingegen ist allein der Mensch als Wirt für Leishmaniose in Betracht zu ziehen.

 

Mit dieser zusammenfassenden Feststellung, daß Phlebotomus neglectus ein anthropophiles, aber auch zoophiles (jedoch den Hund als Blutspender meidend), phototropes und endophiles Verhalten zeigt, wird nun hier die Vermutung aufgestellt, daß die 'klassische infantile Kala-azar', welche bereits 1935 durch Adler & Theodor als eine Leishmaniose beschrieben wurde, die auf Anhöhen zwischen 150 und 600 m. ü. NN begrenzt zu sein schien, offensichtlich in Griechenland eine Anthroponose ist, mit Phlebotomus neglectus als Vektor und dem Mensch als Wirt und damit als Leishmaniose-Reservoir.

 

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